31.07.2024

Diakoniepfarrer Markus Eisele leitet seit 1. April 2022 die drei Fachbereiche des Evangelischen Regionalverbandes und ist Theologischer Geschäftsführer

Sie sind jetzt seit zwei Jahren Leiter der drei Fachbereiche. Was ist Ihnen hier in Ihrem Auftrag wichtig geworden? Was sind Ihre Leitlinien, wofür schlägt Ihr Herz?

Markus Eisele: Wir sind einer der großen Träger sozialer und diakonischer Arbeit in Frankfurt. Wir arbeiten täglich für Tausende von Menschen, damit sie eine gute Bildung haben - damit sie gut ins Leben starten - damit sie im Alter gut betreut werden - damit sie in allen Notsituationen Anlaufstellen haben, die ihnen weiterhelfen können. Wir versuchen für den sozialen Frieden, für den sozialen Zusammenhalt zu stehen. In den Stadtgesellschaften Frankfurt und Offenbach dafür, dass Menschen das Maß an Teilhabe leben können, dass sie sich wünschen und wir somit eine inklusive Gesellschaft sind. Und im Grunde ist vieles von dem, was wir hier tun, vorabgebildet in der Botschaft Jesu vom Reich Gottes. Das ist auch ein Ort, ein Herrschaftsbereich, wo alle dazugehören, und niemand ausgeschlossen ist. Das ist meine Gesellschaftsvision, die ich an dieser Stelle habe. Dies ist eine urevangelische, und die können wir sozusagen nicht nur in den Kirchenmauern leben, das müssen wir draußen in der Stadt leben.

 

Welche Herausforderung sehen Sie in unserer Gesellschaft, die aber auch eine Chance für Ihre Arbeit sein kann?

Markus Eisele: Ich glaube schon, unser sozialer Zusammenhalt ist echt gefährdet und damit auch der soziale Friede in unserer Gesellschaft. Sozialer Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Wir nehmen es, gerade auch die jüngeren Generationen, aber als Selbstverständlichkeit an. Die ältere Generation weiß, wie gefährdet auch Demokratie und gutes Zusammenleben usw. sind. Bei den jungen Menschen muss man immer wieder daran erinnern, dass Demokratie nur funktioniert, wenn man etwas dafür tut. Und dass es auch eine fragile Form von Herrschaft ist. Dazu gehört, dass wir uns - als Kirche, als Diakonie, als Jugendverbände- diese Demokratieförderung auf die Fahne schreiben. Das können wir gut, das gehört schon lange zu dem, wofür wir leben und wofür wir stehen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt geschieht da, wo Menschen etwas füreinander tun. Wir brauchen Begegnungen. Junge Menschen können gut über den Computer, über das Handy kommunizieren, aber wenn sie in eine reale Situation kommen, sind sie oft überfordert. Natürlich waren da auch zwei Jahre Corona, aber gerade deshalb ist dieses gemeinsame Lernen wichtig. Auch ein intergenerationeller Ansatz, dass Ältere von Jüngeren lernen und andersrum, auch da kann man Verantwortung füreinander übernehmen. 

 

Im Evangelischen Jugendwerk Frankfurt sind über 280 Ehrenamtliche tätig, die in der gemeindlichen Kinder- und Jugendarbeit junge Menschen begleiten, bilden und empowern. Welchen Stellenwert hat aus ihrer Sicht die christliche Basis in den Kirchengemeinden und insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit für den Auftrag von Evangelischer Kirche?

Markus Eisele: Wir brauchen die christliche Kinder- und Jugendarbeit in unseren Gemeinden und ich bin froh, dass wir das Stadtjugendpfarramt mit seinem gemeindepädagogischen Dienst haben. Ich bin auch sehr froh, dass es das Evangelische Jugendwerk gibt. Weil da Ehrenamt geübt wird, weil da Werte gelebt, vorgelebt und vermittelt werden, weil dort Resilienz aus dem Glauben entwickelt wird, und das ist im Grunde unersetzbar. Wenn es das nicht geben würde, würde viel für die Gesellschaft, aber auch für den*die Einzelne*n wegfallen. Ich glaube, dass wir hier in der Evangelischen Kirche christliche Kinder- und Jugendarbeit machen, ist zum einen etwas für den*die Einzelne*n, zum anderen aber auch für die Gesellschaft. Wie gut ist es, wenn man Menschen dabei begleitet, im Glauben zu wachsen, zwischen einem Glauben mit Urvertrauen und einem, den nicht jede Kritik, jeder theologische Gedanke aus der Bahn wirft. Wer gelernt hat, zwischen so einem geklärten Glauben in die Welt zu gehen, der hat fürs Leben viel gelernt und kann viel zur Gesellschaft beitragen. Ich habe selbst Juleica Kurse als Gemeindepfarrer mit angeboten, und wie sich junge Menschen da entwickelt haben, wie ihr Selbstbewusstsein gewachsen ist, das war einfach toll anzusehen.

Gerade in diesem Bereich ist das EJW an vielen Stellen agil, innovativ und engagiert unterwegs. Mir ist das sehr, sehr wichtig, dass sich junge Menschen darin für sich und andere üben.

 

Sie haben das EJW bisher an vielen Stellen gesehen, haben unser Jubiläum in Haus Heliand besucht. Welche Wahrnehmungen haben Sie gemacht?

Markus Eisele: Das Jubiläum hat mich echt beeindruckt. Da habe ich zum ersten Mal auch einen Eindruck bekommen, was EJW-Arbeit ist. Ich habe schon viel auf dem Papier gelesen und ich weiß ja auch, wie Kinder- und Jugendarbeit oder Pfadfinderarbeit in den Gemeinden funktioniert, aber diese Gemeinschaft zu sehen, aus Leuten, die vor langer, langer Zeit dazu gehört haben und denen, die neu dazugekommen sind - das ist echt schon was Besonderes. Menschen werden gerade in den Jugendjahren so nachhaltig geprägt, dass sie vieles für ihr ganzes Leben mitnehmen. Das ist eine absolute Stärke des EJWs und das muss es sich auch bewahren. Ich fürchte aber auch, dass durch Corona ein paar Kettenglieder rausgefallen sind, das macht die Sache sicher schwieriger. Aber diese Gemeinschaft ist echt ein Pfund, mit dem das EJW wuchern kann. Wenn sie das gut machen, EJW-Identität und Identifikation zu schaffen, dann wird es auch gelingen, die Ehemaligen und jetzigen Aktiven trotz aller Herausforderungen dabei zu halten.

 

Sind wir als Kirche heute noch zu hören in der Gesellschaft? Welchen Auftrag haben wir als Christ*innen in unserer Gesellschaft?

Markus Eisele: Wir sind nicht mehr die Mehrheit in der Gesellschaft, in Frankfurt ohnehin schon lange nicht mehr. Aber wir sind trotzdem immer noch sehr, sehr Viele und ich finde, wir müssen da einen anderen Blick darauf bekommen. Es gab es Zeiten, in der die Mehrheit der Menschen oder fast alle, Mitglieder der Ev. Kirche waren. Ob das immer bessere Zeiten waren? Ich glaube, wir haben mittlerweile viele Menschen, die gut ausgebildet, interessiert, auch gut belesen sind, was ihren eigenen Glauben betrifft, und ich habe fast das Gefühl, es sind mehr als früher. Früher war Glaube oder Kirchenzugehörigkeit selbstverständlich, man hat sich nicht damit auseinandergesetzt. Heutzutage ist das anders, das ist die Stärke, die wir an dieser Stelle entwickeln. Und entsprechend können wir weiterhin mit dem Schatz, den wir aus der biblischen und kirchlichen Tradition, aus der Praxis, die wir über viele Jahrhunderte gesammelt haben, viel in die Gesellschaft einbringen, egal, ob wir jetzt zahlenmäßig weniger sind. Diese Niedergeschlagenheit, die ich da an manchen Stellen erlebe, dafür gibt es keinen Anlass. Es wird natürlich anders in den Gemeinden erlebt, da müssen Räume und Häuser aufgegeben werden, das sind zum Teil Abbrüche. Aber ich sage mal, jede*r, die*der ihren*seinen Glauben bei uns auf die eine oder andere Weise leben will, kann das weiter tun. Dafür gibt es viele Orte und Initiativen. Wahrscheinlich werden wir viel fluider werden, auch als Kirche und ich glaube, wir werden auch gebraucht, weil Menschen Orientierung suchen, und die können wir in vielen Fragen geben. Und gerade auch in Zeiten, in denen die digitale Kommunikation, zwischen Eins und Null, also schwarz und weiß, immer ideologischer wird. Manche erreichen wir leider nicht mehr mit einer Kommunikation, die auch die Grautöne sieht und abwägen lernt. Aber für alle die, die sagen, ich möchte nicht schwarz-weiß sehen, ich möchte die Themen, die uns hier bewegen, in ihrer ganzen Differenziertheit wahrnehmen, da ist natürlich das EJW oder überhaupt evangelische Jugendarbeit der Ort, wo man das lernen kann. Deswegen auch Vorsicht vor der Versuchung, unsere christliche Botschaft zu vereindeutigen. Fundamentalisten, die einfache Antworten geben für Leute, die sich an einfache Antworten klammern wollen, ohne lange zu fragen und nachzudenken. Das ist scheinbar eine Verführung. Dafür sollten wir nicht stehen.

 

Ist die Evangelische Kirche aus ihrer Sicht eine Kirche für die Gläubigen oder für die Gesellschaft? Wie verändert sich dies im Zukunftsprozess EKHN 2030?

Markus Eisele: Ich glaube, wir müssen weiterhin eine Kirche mit anderen sein. Also auch, was man so „öffentliche Kirche“ nennt, weil wir schon lange nicht mehr Volkskirche sind, aber eine Kirche, die sich mit in der Verantwortung fühlt. Im Grunde auch eine diakonische Kirche - vielleicht kann man auch einfach sagen, eine Diakoniekirche. Mindestens aber auch eine missionale Kirche – wir haben eine Mission, einen Auftrag, den wir auch in die Öffentlichkeit tragen sollen. Deswegen mag ich das Wort missional auch mehr als missionarisch. Wir sollen uns nicht verstecken, sondern das machen, was wir für Menschen und ihren persönlichen Glauben und für den Zusammenhalt in der Gesellschaft tun können. Diese zwei Aspekte müssen wir in Balance halten. Unser Ziel kann nicht sein, dass es am Ende nur noch Diakonie gibt. Ich wünsche mir aber auch keine Kirche, die mit sich selbst zufrieden ist. Ich wünsche mir eine Kirche und eine Diakonie, die sich gegenseitig befruchten. 

Fürs EJW wäre mein Wunsch für die Zukunft Bildungsarbeit, Demokratieförderung, klare Kante gegen Rassismus, gegen Gewalt, gegen Antisemitismus zeigen und vor allem, dass das Thema sexualisierte Gewalt gut aufgegriffen und bearbeitet wird. Dass es gerade auch für junge Leute „safe places“ gibt, soweit wir das sicherstellen können.

 

Das Interview führte Frauke Rothenheber

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